Freitag, 17. Januar 2014

Sächsische Zeitung - Wie stark sind die sorbischen Wurzeln?


Donnerstag, 16. Januar 2014
BAUTZEN NACHRICHTEN
Wie stark sind die sorbischen Wurzeln?

Von Jana Ulbrich

Wer weiß, wo Manuela Jurk jetzt wäre. Vielleicht in Dresden, wo sie gleich nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester einen Job bekommen hätte. Vielleicht in Norwegen, ihrem Traumland. Vielleicht auch irgendwo anders. Aber in Radibor?

Die 29-Jährige schmunzelt. Sicher hat sie auch ans Fortgehen gedacht. Aber da ist wohl Dominik dazwischengekommen. „Ihn kriegt doch nichts und niemand hier weg", sagt sie und zieht ihren Mann lachend zu sich und den kleinen Ludwig hinunter auf den Kinderzimmer-Fußboden. Manuela und Dominik Jurk haben sich eingerichtet im Radiborer Ortsteil Luppa. Ihr Sohn ist gerade zwei geworden.

„Wir sind glücklich hier", sagen sie. Das Hierbleiben ist ihnen leichtgefallen. Manuela arbeitet in einem Wohnheim für Behinderte, Dominik ist Zimmermann. Arbeit zu haben ist wichtig. Dominiks Schwester lebt schon ein paar Jahre im Westen. Sie ist der Arbeit hinterhergefahren. Manche müssen das eben.

Viele sind seit der Wende gegangen aus Radibor, vor allem viele junge Frauen. Statistisch gesehen ist die stark sorbisch geprägte Gemeinde diejenige mit dem größten Frauenmangel-Problem im ganzen Landkreis. In der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen kommen hier auf 100Männer nur 61Frauen. „Uns fällt das Weggehen leichter", sagt Manuela Jurk. „Wir können schneller als Männer auch anderswo Wurzeln schlagen." Aber sind es nicht gerade die sorbischen Wurzeln, von denen man sagt, dass sie einen immer festhalten? „Es sind starke Wurzeln, ganz sicher", finden die Jurks. Sie sind beide Sorben und wissen, wovon sie reden. Sie sprechen im Alltag ihre Sprache, sind tief in ihren Familien verwurzelt und leben die sorbischen Traditionen. „Anders können wir uns das gar nicht vorstellen", sagen sie.

Domowina-Geschäftsführer Bernhard Ziesch kann dieses Gefühl auch empirisch bestätigen. „Die Sorben sind enger an ihre Heimat gebunden als die Deutschen, die hier leben." Es gibt viele Untersuchungen zu diesem Thema. Vor allem unter den katholischen Sorben im Raum Bautzen, Kamenz und Wittichenau ist diese besondere Bodenständigkeit verbreitet. Sie wird ihnen schon in die Wiege gelegt. „Wer von Kindheit an vom Leben in einer sorbischen Familie geprägt wird, behält diese starken Bande sein Leben lang", weiß Ziesch.

Starke Wurzeln zu haben, das heißt aber auch für einen Sorben nicht unbedingt, an einem Ort festgehalten zu sein. Auch nicht in Radibor. Bestes Beispiel sind die beiden Töchter von Familie Wenke. Alena, die ältere, wollte nie weg aus ihrer Heimat. Nur zum Studieren ist sie nach Leipzig gegangen, erzählt sie, und hätte es ihr Studium nicht erfordert, hätte sie wohl auch auf das Auslandssemester in Russland verzichtet. Jetzt arbeitet die 27-Jährige als Gymnasiallehrerin am Johanneum in Hoyerswerda, lebt mit ihrem sorbischen Mann und den beiden Kindern in Radibor. Ganz in der Nähe ihrer Eltern, für die jeden Dienstagnachmittag Oma-und-Opa-Tag ist – ein festes Ritual, das alle lieben.

Jadwiga, zwei Jahre jünger, wollte schon immer in die Welt hinaus. Sie hat ein Jahr als Au-pair in Rom verbracht, ist mit dem Rucksack durch Indien gereist, war in Amerika und lebt jetzt in Berlin. Trotzdem bleibt die starke Bindung an die Heimat, weiß ihre Schwester Alena. Mit dem Weggehen habe das nichts zu tun. Auch fernab der Lausitz bleiben die Sorben ihrer Heimat meistens nahe. In Berlin und anderen Städten treffen sie sich am „Serbske blido", dem sorbischen Stammtisch, den sie untereinander organisieren. Egal wo in der Welt, sie finden sich zusammen, pflegen ihre Traditionen und feiern ihre Feste. Selbst in Russland hat Alena Hitzke schon am zweiten Abend eine Sorbin getroffen, erzählt sie.

Von der Statistik hält die junge Frau sowieso nicht viel. Ihre Freundin zählt jetzt auch zu den Abgängen aus Radibor. Dabei ist sie nur ins Nachbardorf gezogen. Viele ihrer Freundinnen und Bekannten, die nach der Schule weggegangen sind, kommen übrigens gerade wieder zurück, erzählt Alena Hitzke. Auch das, glaubt sie, ist typisch für junge Sorbinnen. „Die Familiengründung findet meistens hier statt."

Diesen Trend scheint die Einwohner-statistik für Radibor ebenfalls zu belegen. Die Geburtenzahlen sind in den letzten zehn Jahren wieder angestiegen und haben sich auf ein gleichbleibendes Niveau eingepegelt. 32 Neugeborene konnte die Gemeinde 2013 willkommen heißen. Das Verhältnis von 21 Jungs zu elf Mädchen ist doch hier sicher ein Zufall
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