Donnerstag, 27. März 2014

Horst Schlossar, von dem...

... ein riesiges Wandgemälde 

Schloss Radibor ziert...

Ein Bild auf Reisen


Sächsische Zeitung vom 11.01.2013

Rammenauer standen einst Modell für das Gemälde „Bauerndelegation". Jetzt ist es in Weimar zu sehen.

Von Marion N. Fiedler

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Hiltrud Snelinski – hier mit dem Ausstellungskatalog – hat ihre Sicht auf das Gemälde im Laufe der Zeit geändert.
Hiltrud Snelinski – hier mit dem Ausstellungskatalog – hat ihre Sicht auf das Gemälde im Laufe der Zeit geändert.

  • Hiltrud Snelinski – hier mit dem Ausstellungskatalog – hat ihre Sicht auf das Gemälde im Laufe der Zeit geändert.
  • Der sorbische Maler Horst Schlossar schuf 1953 in Rammenau das Gemälde „Bauerndelegation bei der ersten sozialistischen Künstlerbrigade

Hiltrud Snelinski ist mit ihrem Heimatdorf Rammenau eng verbunden. Seit 1986 setzt sie sich als Bürgermeisterin für das Dorf ein. Vor wenigen Wochen hat sie im Namen der Gemeinde das Ölgemälde „Bauerndelegation bei der ersten sozialistischen Künstlerbrigade" des sorbischen Malers Horst Schlossar nach Weimar geschickt. Mit diesem Bild sind die darauf abgebildeten Rammenauer auf eine besondere Reise gegangen. Noch bis zum 3. Februar sind sie in der Ausstellung über neue Perspektiven auf die Kunst der DDR im Neuen Museum der Klassikerstadt Weimar zu sehen.

Das Gemälde von Horst Schlossar lädt die Augen zum Verweilen und den Geist zum Wandern in eine vergangene Zeit ein. Wir befinden uns im Barockschloss Rammenau. Durch die großen Fenster dringt ein herbstlich-kühles Septemberlicht zu den sechzehn Beratenden, die über einer Innovation tüfteln. Es brodelt förmlich. Die in feinen Strichen ausgearbeiteten Mienen auf den Gesichtern der Bauern und anderen Dorfbewohner wirken ernst, interessiert, teilweise hinterfragend. So sitzt der Gemeindediener konzentriert in einem Lehnstuhl aus dem Schlossmobiliar, hinter ihm steht lauschend die Schlossverwalterin, und auch der damalige Bürgermeister hört gespannt zu. Der Maler Hans Kinder, hier in Bauernkleidung, steht vor der Gruppe und scheint die Diskussion zu leiten. Er stellt eine große landwirtschaftliche Maschine vor, die in Form einer Kohleskizze in der Staffelei aufgehangen ist.

Rammenau im Jahr 1953. „Für die Dorfbewohner war es immer spannend, wenn einmal pro Jahr Künstler und Kunststudenten ins Dorf gekommen sind", weiß Hiltrud Snelinski aus Erzählungen. Die Künstler brachten den Dorfbewohnern etwas, was sie so nicht erleben konnten, teilten interessante Neuigkeiten mit, erzählten Geschichten durch Worte und Bilder. Nicht zuletzt waren sie für die jüngeren Rammenauer eine angenehme Abwechslung zum überschaubaren Lebensalltag, der sich komplett in der Region abspielte. Ausflüge wie in den Zoo nach Dresden waren seltene Ereignisse, von denen die Kinder lange vorher träumten und hinterher schwärmten.

Die junge Hiltrud Snelinski war eine der wenigen, die von den Malern ein eigenes, kleines Bild geschenkt bekommen hat. Sie erinnert sich noch genau daran: „Die Skizze bildete das Haus ab, in dem mich meine Großeltern großgezogen haben. Nach einem netten Gespräch mit dem Künstler durfte ich es tatsächlich behalten und war sehr stolz und erfreut. Wir haben es gerahmt und bei meinen Großeltern über dem großen Tisch in der Stube aufgehängt."

Einen ebenso emotionalen Wert hat für die Rammenauer das Gemälde von Horst Schlossar, welches jetzt in Weimar zu sehen ist. Für Hiltrud Snelinski ist es der unter dem Wandbild stehende eigene Großvater. Aber auch andere Dorfbewohner erkennen in der Schlossszenerie ihre Verwandten und Freunde wieder. Leider ist die abgebildete Generation inzwischen nicht mehr am Leben. Das Bild jedoch ging von Hand zu Hand.

Als Horst Schlossar das Gemälde noch zu DDR-Zeiten den Rammenauern schenkte, schmückte es zuerst die Büroräume der LPG „Neue Heimat" Rammenau. Dort standen die abgebildeten Dorfbewohner dem Künstler auch einzeln Modell. Als die LPGs gespalten wurden, behielt die Tierwirtschaft „Johann Gottlieb Fichte" das Bild in Geißmannsdorf. Doch nicht nur regionale Betrachter haben sich in die Abbildung einer Bauerndelegation vertieft. In mehreren Ausstellungen, darunter zweimal in Bautzen, war das Gemälde der Öffentlichkeit zugänglich. Schnell sprach es sich herum, dass ein sehenswertes Werk Horst Schlossars als Rammenauer Zeitzeugnis zu sehen ist. Geforscht haben neben vielen privaten Personen auch die TU Dresden am Bild, die es auch auf eigene Kosten restauriert hatte. Des Weiteren half es dem britischen Historiker Jonathan Oswald, Professor an der Universität Wales, bei der Recherche zum Thema „Agrargeschichte in der DDR".

Vor zwei Jahren wurde es dann, nach mehreren Leihgaben, endgültig der Gemeinde Rammenau geschenkt. Hiltrud Snelinski setzt sich inzwischen dafür ein, dass das Gemälde für alle zugänglich im Gemeindeamt hängen bleibt, damit es den Dorfbewohnern nahe sein kann: „Es ist ja ein Stück Vergangenheit, die wir auch weiterleben lassen wollen. Die Tradition, die es verkörpert, liegt unseren Familien sehr nahe", sagt sie.

Besonders politisch lernt man bei der Verinnerlichung der Inhalte, die Horst Schlossar in die 85 mal 110 Zentimeter Ölgemälde integriert hat. Beim Betrachten kristallisiert sich besonders heraus, wie sich über die Jahre vieles im persönlichen, gesellschaftlichen und administrativen Bereich verändert hat. „In der DDR verlief das Leben ja um einiges langsamer als heute", ergänzt Hiltrud Snelinski. Aber auch damals sei das Ideal nicht erreicht worden, wie es das Gemälde vielleicht anzudeuten versucht. Horst Schlossar gehörte der 1953 in Rammenau gastierenden ersten deutschen Künstlerbrigade an, der im Vorhinein von den Funktionären strikte Vorgaben gemacht wurde, denn die inhaltlichen Parameter wollte man unter voller Kontrolle haben. Nicht zuletzt deswegen, weil die Werke für die dritte deutsche Kunstausstellung produziert wurden. „Das politische Idealbild sollte in den Bildern vermittelt werden", erklärt Dr. Paul Kaiser. „Wir gehen auch davon aus, dass die Maler aufgrund der Verpflegung und Honorare mitgemacht haben, denn den künstlerischen Aspekten hat man in diesem von der Politik kontrollierten Kollektiv leider keine Spielräume gelassen."

Dr. Paul Kaiser hat als einer von drei Kuratoren das Gemälde aufgrund des Zwiespalts mit der damaligen politischen Realität in die Ausstellung nach Weimar geholt. Der Hinweis sei von Jonathan Oswald gekommen, der das Werk als idealen Beitrag für die mit „Abschied von Ikarus – Bildwelten der DDR neu gesehen" betitelten Ausstellung sieht. „Unser Leitmotiv, der sich in großer Hoffnung aufschwingende, der taumelnde oder abstürzende Ikarus steht gleichsam symbolhaft für die Deutungsbreite in dieser Ausstellung und zeigt zugleich, dass sich in der DDR ein spezifisches bildnerisches Motivreservoir entwickelte, das sich über die persönliche künstlerische Äußerung hinaus mit den Hoffnungen und Enttäuschungen einer ganzen Gesellschaft verbinden lässt", betont Prof. Dr. Wolfgang Holler, Generaldirektor der Museen der Klassik Stiftung Weimar.

Der Schein der von Horst Schlossar dargestellten Bauerndelegation ist überzeugend. Ein ideales Szenario, in dem gemeinschaftlich für den Staat getüftelt wird. Ob Bauer oder Arbeiter, die Beteiligten der Diskussion sehen alle gleich aus. So wie es in der DDR gern gesehen wurde. Selbst kleine Details verraten allerdings, dass es sich um eine fiktive Situation handelt. So ist die abgebildete Maschine für die Bauern der damaligen Zeit viel zu groß. „Um Rammenau wurde schon immer Landwirtschaft betrieben. Aber solche monströsen Geräte hätten damals gar nicht auf die kleinen Felder gepasst", sagt Hiltrud Snelinski.

Ganz besonders skeptisch ist sie gegenüber dem Thema Gleichheit unter den Bauern, denn für sie und die Dorfbewohner gab es schon Unterschiede. „Ein Bauer mit Pferd war jemand ganz anderes als einer, der nur eine Ziege besaß. Das konnten selbst wir Kinder sehr gut wahrnehmen. Da wir ja den Gutsbesitz Schloss hatten, gab es nur wenige große Bauern." Allerdings seien die Unterschiede heutzutage viel gravierender geworden, besonders zwischen Arm und Reich. „Die Menschen haben heutzutage trotz verbesserter Möglichkeiten auch erhöhte Ansprüche und Wünsche", sagt die Bürgermeisterin. Die in der DDR angestrebte, von den politischen Machthabern verordnete und von Künstlern wie Horst Schlossar letztendlich konstruierte Gleichheit ist übrigens eines der Schlagthemen der Weimarer Ausstellung.

Hiltrud Snelinski freut sich, dass das Gemälde zum besseren Verständnis der Vergangenheit von Forschern aufbereitet wurde, und nun in Weimar einem größeren Publikum zugänglich ist. Sie selbst hat im Laufe der Jahre durch das Bild eine Wandlung durchgemacht: „Als ich 20 war, konnte ich es nicht ausstehen. Das Gemälde hing lange hinter meinem Büro." Damals sah sie nur graue, unangenehme Farben und Menschen, die alt und trüb aussahen. Heute seien es andere Dinge, die ihr auffallen: „Natürlich erkenne ich meinen Großvater und die durch harte Arbeit gestählten Hände und Mienen der Bauern. Besonders berührt mich das Wissen um die Vergangenheit, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Auch der Fortschritt mit positiven, produktiven Veränderungen ist für mich erkenntlich. Vor allem transportiert das Gemälde aber Werte wie Ehrenamt, Gemeinschaftssinn und ein gesundes Interesse an der eigenen Heimat." Und genau diese Werte möchte Hiltrud Snelinski an die junge Generation weitergeben. Sie setzt sich für anschauliche Vorträge, Ortsführungen, einen guten Ortschronisten und Projekttage für Kinder ein. Rammenau hat darüber hinaus einen Holz- und Fichtelehrpfad, Lehrtafeln an Waldrand, Teich und Feldern, die die Natur den Bewohnern und Besuchern näherbringen. „Gerade was wir in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, ist nicht mithilfe finanzieller Unterstützungen entstanden", sagt Hiltrud Snelinski. „Ich kämpfe dafür, dass das Ehrenamt wieder mehr Würdigung erfährt. Es gibt immer mehr, die in der Hängematte liegen und warten, dass jemand schaukelt." Die Bürgermeisterin animiert zum Mitmachen, und macht es selbst vor: Seit 2002 arbeitet sie auf ehrenamtlicher Basis als Bürgermeisterin.


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