(für Erwin)
Des weissen Raben Lied
„--- Es ist der Rauch, der sich in der kalten Luft verliert
Es sind die Schatten, wo jeder einzelne erstarrt und erfriert
Der Strick, der hält, so sicher wie der Tod
Ein letzter Halt in erstickender Not
Die Sehnsucht nach Tanz, nach Kinderlachen
Verführung der Nacht, des unbekannten Drachen
Die tosende See ertränkt mein Verlangen
Nach Melodien, die aus fernen Wäldern erklangen ---"
Es schwindet die Feuchtigkeit, der Saft, die Tinte des Seelenergusses, nur Kratzer bleiben auf dem Papier übrig, unsichtbar für die Augen der Achtlosen.
Langsam erhebt sie sich, noch ohne sich ihrer Umgebung bewusst zu sein. Das Leben, die Realität sickert leise durch ihre Gegenwart.
Es hatte viele Jahre angestrengten Suchens benötigt, und doch traf sie die Erkenntnis so sachte wie ein Windhauch, der sich an die Flamme einer Kerze schmiegt: „Nie werde ich frei sein, wenn ich mein Dasein nicht mir selbst überlasse. Der alleinige Halt für meine eigene Wahrheit ist, dass ich bin. Alles andere ist Illusion."
Ja, ein billiger Zaubertrick war es, der ihr die Zeit ihres Lebens hinweggerafft hat, der gleiche mit dem der selbsternannte Illusionist bereits die Wahrnehmung aller täuscht, die gebannt im grossen Publikum der Welt ihre reservierten Plätze besetzen. Würde da nicht gelegentlich ein Seitenausgang aufgestossen, der einem der Geblendeten die kalte Luft der Selbsterkennung entgegenbläst.
Sie hatte sich damals erhoben und war hinausgetreten in die schwarze Nacht. Es war ein weiter Weg bis ins Morgengrauen gewesen; da erst hatte sie die strahlende Heiligkeit der Natur erkannt. Ein letzter Blick zurück verriet ihr die mechanische Verräterischheit der grossen Maschine, bei welcher sie zeitlebens Halt und Geborgenheit gesucht hatte, ohne wirklich je danach verlangt zu haben.
Eine Gestalt, schön wie die Seelen der Reisenden – so stand sie auf dem Dach. Unter ihr Tonnen aus Glas, Stahl und Beton, der Lärm der Strasse laut aber dumpf, so dass der Schrei der weissen Krähe an ihr Ohr durchdringen konnte. Aug in Aug mit der Macht des Urtümlichen breitete sich vor ihrem Antlitz ein Garten aus mit silbernen Bächen, und Blumen, so farbenprächtig, dass nur ihr Duft ihre Erscheinung noch zu übertreffen vermochte.
So sang denn der Rabe:
„--- Du schafftest den See, der meine Seele mir zu offenbaren vermag
Es ist dein Feuer, welches durch Finsternis ich trag
Nun schenk ich dir Geleit durch unser beider Lande
Für dich, oh Herrin, entgleite ich meinem gefiederten Gewande
Lass ab nun endlich von Leid und Sühne
Der Wassermann betritt bebend die Bühne
Nur Lärm und Licht sind Donner und Blitz
Es bringt Erlösung der Regen in der Sommerhitz' ---"
So hat sie geschrieben, als das Leben zurückkehrte in die weisse Feder. Und das königliche Blut versank in den Tiefen des reinen Papiers. Fest umschlossen die Hand des Gefährten schritt sie in den lichterfüllten Garten. Um sie war Wärme und Frieden.
„--- (Schweigen) ---"
Zu der Zeit des Erdbebens wurde die grosse Maschine zerstört. Feuer war Licht. Wasser war Leben. Luft war Geist. Erde war die Mutter, die nicht aufgegeben hatte, ihre Kinder wohl zu umsorgen.
(Manuel Kuster, 2012)
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